Loslassen!
Oper in einem Akt frei nach "Geschichte einer Mutter" (Hans Christian Andersen)
und "Das Tränenkrüglein" (Brüder Grimm)
von Bettina Weber
Inhalt
Maria Guterrath ist verzweifelt:
nach schwerer Krankheit ist ihre über alles geliebte Tochter Angelika gestorben.
Unfähig, den Tod anzunehmen, weist sie sowohl die Unterstützung der sie betreuenden Psychologin zurück, als auch das gutgemeinte Hilfsangebot von Pfarrer Wohlert.
Stattdessen steigert sie sich mehr und mehr in die Vorstellung hinein, Angelika wäre noch am Leben. Das Zimmer des Kindes ist unverändert, sie sitzt am Bett und singt Wiegenlieder, oder sie veranstaltet Spiele, um ihre Tochter zu unterhalten und von ihren Schmerzen abzulenken.
Doch die Fassade bröckelt.
Maria erkennt, dass weder die Illusion aufrecht halten, noch die Zeit zurückdrehen und somit die Schicksalsschläge, die sie in ihrem Leben verkraften musste, ungeschehen machen kann.
Völlig erschöpft sinkt sie in sich zusammen.
Plötzlich glaubt sie, die Stimme ihrer Tochter zu hören, die sie bittet, ihr endlich ihren Frieden zu gönnen. Maria hingegen fleht das Kind an, ins Leben zurückzukehren. Angelika zeigt ihr daraufhin zwei Menschenschicksale, von welchen das erste von Glück, Freude, Zufriedenheit und Erfolg bestimmt ist, das zweite aber eine einzige Kette von Leid, Not, Qualen und Enttäuschungen. Angelika erklärt, das eines dieser beiden Schicksale ihr eigenes gewesen wäre und bittet ihre Mutter erneut, ihren Tod zu akzeptieren.
Bestürzt schreckt Maria hoch.
Unter dem Eindruck der beiden Visionen beginnt sie zu begreifen, dass sie sich zwar genaue Vorstellungen darüber gamacht hatte, wie das Leben ihrer Tochter verlaufen sollte, die Erfüllung dessen aber nicht in ihrer Hand liegt.
Allmählich wird ihr klar, dass sie ihr eigenes Leben leben und die Vergangenheit loslassen muss.
Versöhnlich endet das Stück mit dem Bewusstsein, dass ihr für immer die Erinnerung an die gemeinsam erlebten guten Zeiten bleiben wird.
Besetzung
Maria Guterrath, die Mutter | Sopran (auch Mezzosopran) große Partie, Schwierigkeitsgrad anspruchsvoll |
Angelika, das Kind | Sopran, Kinderstimme (hinter der Szene, auch als Zuspielband denkbar) kleine Partie, Schwierigkeitsgrad mittel |
Pfarrer Wohlert | Sprechrolle (evtl. hinter der Szene, auch als Zuspielband denkbar) kleine Partie |
Begleitung
Flöte | |
Klarinette | |
Trompete | |
Fagott | |
Violine | |
Viola | |
Violoncello | |
Schlagzeug |
Der Part der Mutter richtet sich an Musikstudentinnen oder professionelle Sängerinnen, der Part des Kindes sollte von einem vorgebildeten Kind übernommen werden.
Aufführungsdauer: ca. 80 Minuten
Aufführungen
Dezember 2022, Studio Frankfurter Berg (Film) | |
10.02.2023, Studio Frankfurter Berg Uraufführung | |
11.02.2023, Studio Frankfurter Berg | |
12.02.2023, Studio Frankfurter Berg |
Erläuterungen zum Stück
Hans Christian Andersens „Geschichte einer Mutter“ gehört seit meiner Kindheit zu den Märchen, die mich immer sehr bewegt haben. Erzählt wird von einer Mutter, die um das Leben ihres Kindes bangt, sich eines Nachts von einem alten Mann, dem sie Obdach gewährt hat, am Bett ablösen lässt, um beim Erwachen festzustellen, dass sie das Kind niemand anderem als dem Tod anvertraut hat. Sie folgt dem Tod, um ihr Kind zurückzuholen, gibt unterwegs alles was sie besitzt, den Wesen, die ihr begegnen, damit diese ihr den Weg weisen. Zuletzt gelangt sie tatsächlich in den Garten des Todes, wo die Seelen der Menschen als Blumen wachsen. Die Mutter droht, alle seine Blumen auszureißen, wenn er ihr ihr Kind nicht zurückgibt, worauf er ihr zwei unterschiedliche Menschenschicksale zeigt: eines, das voller Glück und Freude, und eines, das eine einzige Mühsal und Qual ist. Eines dieser Schicksale sei das ihres Kindes. Die Mutter möchte ihr Kind unter keinen Umständen einem so erbärmlichen Leben aussetzen, wie sie es in dem zweiten Bild gesehen hat und lässt nun doch zu, dass der Tod die Seele ihres Kindes in den Garten des ewigen Friedens bringt.
Schon früher habe ich an eine Dramatisierung des Stoffes gedacht, diese aber immer wieder zugunsten anderer Projekte aufgeschoben.
Im Jahre 2020, als durch die Corona-Pandemie das kulturelle Leben nahezu zum Erliegen kam, wurde mir vom Musikfonds Berlin ein Arbeiststipendium verliehen, für meinen Projektvorschlag, eine kleinbesetzte Oper zu schreiben, die auch unter Corona-Bedingungen zur Aufführung kommen könnte.
Klar war, dass hier (wieder einmal) ein möglichst kleinbesetztes Werk entstehen musste. Maximal drei Bühnendarsteller und sieben bis acht Orchestermusiker sollten zum Einsatz kommen.
Thematisch schien mir die "Geschichte einer Mutter" nun ideal zu passen, da Themen wie Verlust, Abschied, Trauer, und auch das Loslassen vertrauter Dinge und Gewohnheiten gerade durch die Pandemie aktueller denn je wurden.
Da sich das originale Andersen-Märchen unter den Vorgaben, die ich mir selbst gesetzt hatte, nur schwer umsetzen ließ, beschränkte ich mich bei meinem Libretto auf die Grundzüge der Geschichte, die ich mit dem Grundgedanken des Grimmschen Märchens "Das Tränenkrüglein" verknüpfte, in welchem der Geist des verstorbenen Kindes seiner trauernden Mutter erscheint und sie bittet, es nicht länger durch ihr Leid und ihre Tränen an diese Welt zu binden.
Entstanden ist ein Psychogramm, das die unterschiedlichsten Gemütszustände Maria Guterraths wiederspiegelt, welche von der glatten Verleugnung des Todes, über Anklagen der Umständeund ihrer Umwelt, bis hin zu einem zaghaften ersten Annehmen ihres Schicksals.
"Loslassen!" gliedert sich in 22 musikalische Nummern, die nahtlos ineinander übergehen. Die Tonsprache bewegt sich im tonalen Bereich, jedoch mit häufigen Anklängen an die Musik des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich waren Werke von Leonard Bernstein, Kurt Weill, Igor Stravinski und Mieceslav Weinberg für mich in vieler Hinsicht Inspiriation, wiewohl ich keine bewussten, wörtlichen Zitate angebracht habe.
Zum Haupt-Leitmotiv der Oper wird der Choral "Dein Will' gescheh', Herr Gott sogleich", der bereits in der Ouverture erklingt, in Nr. 1 Wiegenlied und Nr. 2 Melodram angedeutet wird und schließlich in den beiden Visionen (Nr. 18 und Nr. 19), sowie in Nr. 21 Loslassen seinen Höhepunkt findet.
Auch das Lied "Nun ruhen alle Wälder" kommt thematisch zum Einsatz, zunächst in Nr. 9 Melodram, wo es die gutgemeinten, allerdings ungeschickten Hilfsversuche Pfarrer Wohlerts untermalt, vor allem aber in Nr. 22 Die Erinnerung bleibt, zum Zeichen dessen, dass die Mutter nun bereit ist, das Schicksal anzunehmen.
"Loslassen!" ist so konzipiert, dass es mit einer einzigen Darstellerin auf der Bühne auskommt. Sowohl der Part des Pfarrers, wie auch die Stimme des Kindes können sowohl hinter der Bühne ausgeführt, oder gar von Band eingespielt werden.
Szenisch ist eine Vielfalt von Darstellungen möglich, die von Videoeinspielungen bis hin zu größeren Pantomimen- oder Tanzszenen reichen.
Unerwünscht ist allerdings eine Umstellung, Veränderung oder Kürzung der Nummern.
Aufgrund der Corona-Situation wurde im Jahr 2022 anstelle einer Präsenz-Uraufführung ein Videofilm der Oper gedreht.
Die Uraufführung vor Publikum fand im Februar 2023 statt.
Mein Weihnachtsspiel "Das Weihnachtswunder" (2020) kann als eine Art Vorstudie zu "Loslassen!" gelten.